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Dürfen baurechtliche Maßnahmen gegen einen Schweinemastbetrieb sofort vollzogen werden?

Datum: 02.02.2006

Kurzbeschreibung: Pressemitteilung vom 05.08.2002

Das Verwaltungsgericht hatte über einen Antrag zu entscheiden, mit dem sich die Betreiber eines Schweinemastbetriebes gegen die sofortige Vollziehbarkeit von baurechtlichen Anordnungen des Landratsamts Ortenaukreis wandten (Beschluss vom 31.07.2002 - 2 K 902/02 -).

Dabei ist das Gericht von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Die Antragsteller betreiben in Appenweier-Nesselried einen Schweinemastbetrieb, der zu Beginn des Jahres 2001 modernisiert wurde. Hierbei wurde der größere der beiden Ställe vom Festmistverfahren auf das Flüssigmistverfahren umgestellt. Gleichzeitig wurde eine Unterdruckbelüftungsanlage installiert. Alle Ställe wurden mit einem gemeinsamen Abluftsammelkanal verbunden, wobei die Abluft über zwei Abluftkamine über Dach ins Freie geführt wird. Der Betrieb ist bist auf die Westseite u.a. von Wohnbebauung umgeben und liegt fast an der tiefsten Stelle des Ortes. Ein unmittelbar südöstlich auf der anderen Straßenseite gelegenes Wohnhaus liegt in einer Entfernung von ca. 35 Metern.

Nachdem sich die Nachbarn seit der Inbetriebnahme der Abluftanlage über Geruchs- und Geräuschsbelästigungen beschwert hatten und der Versuch, die Geruchsemissionen zu vermindern, abgebrochen worden war, ordnete das Landratsamt Ortenaukreis mit Bescheid vom 02.05.2002 mehrere - für sofort vollziehbar erklärten - Maßnahmen an: Nach Nr. 1, 2 und 7 dürfen insgesamt maximal 90 Mastschweine gehalten werden. Nach Nr. 3 muss die Belüftung der Stallungen ausschließlich über Türen und Fenster erfolgen. Gemäß Nr. 4 sind die Ventilatoren außer Funktion zu setzen. Beide Kamine sind nach der halben Rohrlänge innerhalb des Dachraumes so zu öffnen, dass die Luft ungehindert in den Dachraum entweichen kann (5). Schließlich sollen nach Nr. 6 beide Kamine an den Austrittsöffnungen über dem Dach verschlossen werden.

2. Der gegen die Anordnung des Sofortvollzugs beim Verwaltungsgericht Freiburg eingelegte Antrag der Antragsteller war teilweise erfolgreich. Nach Ansicht des Gerichts überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnungen Ziff. 1, 2 und 7 (a), während umgekehrt das private Interesse der Antragsteller, von der sofortigen Vollziehung der Anordnungen Ziff. 2 bis 6 bis zu einer endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage verschont zu werden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiege (b):

Der Betrieb der Antragsteller ist in der modernisierten Form nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt. Bei gewerblich genutzten baulichen Anlagen ist im Hinblick auf die immissionsschutzrechtlichen Vorschriften praktisch jede Nutzungsänderung, die zu einer Veränderung der Emissionsverhältnisse führt, genehmigungspflichtig.

Zugunsten der sofortigen Vollziehung der Anordnungen Nr. 1, 2 und 7 falle angesichts dessen entscheidend ins Gewicht, dass ein öffentliches Interesse an der Wahrung der Ordnungsfunktion des Baurechts besteht. Zweck des Baugenehmigungsverfahrens ist es, der Entstehung baurechtswidriger Zustände durch eine vorbeugende Rechtskontrolle entgegenzuwirken und damit die Bautätigkeit sowie die Nutzung baulicher Anlagen im Einklang mit der baurechtlichen Ordnung zu halten. Müssten die Behörden eine ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommene Nutzung eines Gebäudes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, das bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel Jahre dauern kann, tatenlos hinnehmen, so würde der auf eine vorbeugende Rechtskontrolle gerichtete Zweck des Baugenehmigungsverfahrens umgangen; zum anderen würde hierdurch ein Anreiz zu weiteren Verstößen ähnlicher Art geschaffen. Demgegenüber tritt durch die sofortige Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung kein irreparabler Zustand ein; insbesondere werden keine Sachwerte vernichtet.

b) Dagegen überwiegt das private Interesse der Antragsteller, von der sofortigen Vollziehung der Auflagen Ziff. 3 bis 6 bis zu einer endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage verschont zu bleiben. An die Voraussetzungen der sofortigen Vollziehbarkeit einer baurechtlichen Beseitigungs- oder einer Rückbauanordnung ist wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Eigentum, mit dem regelmäßig vollendete Tatsachen geschaffen werden, ein strenger Maßstab anzulegen. Für bauaufsichtsrechtliche Ordnungsverfügungen, welche die Beseitigung von Bausubstanz - auch und erst recht als Teilschritt in Richtung auf eine zugleich angeordnete Wiederherstellung eines früher gegebenen Zustandes - fordern, ist anerkannt, dass mit Rücksicht auf die gewichtigen Auswirkungen eines solchen Eingriffs das Interesse des Ordnungspflichtigen an der Erhaltung des Suspensiveffektes regelmäßig das öffentliche Interesse daran, die Bausubstanz bzw. die bauliche Anlage sofort beseitigen und den früheren Zustand wiederherstellen zu lassen, überwiegt.
Die vom Landratsamt Ortenaukreis in der Begründung seiner Vollziehungsanordnung angeführte Besorgnis, dass die Nachbarn nicht mehr unzulässigen Geruchsemissionen ausgesetzt werden sollen, vermag ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht begründen. Denn das Landratsamt Ortenaukreis ist wohl zu Recht davon ausgegangen, dass der Betrieb der Antragsteller in einem bestimmten Umfang Bestandsschutz genießt, wenngleich es den bestandgeschützten Umfang des Betriebes nicht näher ermittelt hat. Ausgehend von dieser Annahme hätte die Baurechtsbehörde bei ihrer Entscheidung aber berücksichtigen müssen, dass die Anforderungen des Rücksichtnahmegebotes durch die tatsächlich vorhandenen Vorbelastungen gemindert werden können. Im Umfang der Vorbelastung sind Immissionen grundsätzlich zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinnehmbar wären.

Das Landratsamt Ortenaukreis hat schließlich auch nicht untersucht, ob die Belastung der Nachbarschaft bei einer Nutzung der Abluftanlage überhaupt höher ist, als bei der angeordneten und früher vorhandenen natürlichen Belüftung. Aus den zahlreichen Schreiben von Anwohnern an das Landratsamt und an das Verwaltungsgericht geht deutlich hervor, dass von dem Betrieb der Antragsteller bereits vor der Modernisierung des Betriebes erhebliche Emission ausgegangen sind, welche durch die von dem Amt für Landwirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur Offenburg vorgeschlagenen Modernisierungsmaßnahmen gerade vermindert werden sollten. So geht das Amt für Landwirtschaft, Landwirtschafts- und Bodenkultur Freiburg davon aus, dass die ehemals vorhandene natürliche Lüftung nicht als Stand der Technik angesehen werden könne. Insbesondere für die besonders belasteten Nachbarn in unmittelbarer Nähe des Betriebes dürfte der Rückbau auf eine natürliche Belüftung keine nachhaltige Verbesserung bringen. Im Gegenteil dürfte das auf der anderen Seite der Dorfstraße in der Hauptwindrichtung gelegene Anwesen bei natürlicher Belüftung eher stärker belastet werden, weil der Gestank im Hof bei natürlicher Belüftung stärker wird.

3. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Beide Beteiligte können - soweit sie unterlegen sind - innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg mit Sitz in Mannheim erheben.

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