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Doktorgrad darf nicht wegen nachträglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens entzogen werden

Datum: 27.09.2010

Kurzbeschreibung: Pressemitteilung vom 27.09.2010

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat mit dem heute verkündeten Urteil - 1 K 2248/09 - der Klage des Physikers Schön gegen die Entziehung seines Doktorgrades durch die Universität Konstanz stattgegeben. Die nachträgliche Unwürdigkeit, die das Landes-hochschulgesetz für den Entzug des Doktorgrades voraussetze, könne nicht allein mit wissenschaftlichem Fehlverhalten nach der Promotion begründet werden.

Das Verfahren hatte folgenden Hintergrund: Die beklagte Universität Konstanz hatte dem Kläger im Jahr 1997 aufgrund seiner Dissertation und nach mündlicher Prüfung den Grad eines Doktors der Naturwissenschaften verliehen. Danach war der Kläger vier Jahre lang in einer US-amerikanischen Forschungseinrichtung tätig. In dieser Zeit beteiligte er sich an über 70 wissenschaftliche Publikationen, die in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit teilweise als bahnbrechend gewürdigt wurden. Nach Vorwürfen der Datenfälschung setzte die Forschungseinrichtung im Jahr 2002 eine wissenschaftliche Untersu-chungskommission ein, die zu dem Ergebnis kam, dem Kläger sei in 16 von 24 unter-suchten Veröffentlichungen wissenschaftliches Fehlverhalten anzulasten („Beasley Re-port“). Darauf überprüfte eine Kommission der Universität Konstanz auch seine dort durchgeführten, im wesentlichen mit seiner Dissertation zusammenhängenden For-schungsarbeiten und stellte zwar handwerkliche Fehler, jedoch kein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne einer bewussten Datenmanipulation fest. Zugleich befasste sich der Promotionsausschuss der Universität Konstanz mit dem Beasley-Report, den dort untersuchten Publikationen und dazu erfolgten Stellungnahmen in Fachjournalen. Er gelangte zu der Auffassung, dass dem Kläger Datenmanipulation, Präsentation von Da-ten in falschem Zusammenhang und künstliche Erzeugung von Daten zweifelsfrei nach-gewiesen seien. Ein solches wissenschaftliches Fehlverhalten sei in der deutschen Wis-senschaftsgeschichte bisher beispiellos. Der Kläger habe sich deshalb der Führung des Doktorgrades als unwürdig erwiesen. An der Entziehung des Doktorgrades hielt die be-klagte Universität auch nach Widerspruch des Klägers fest und bestätigte ihre Entschei-dung mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2009.

Die dagegen erhobene Klage des Physikers hatte Erfolg. Der Vorsitzende Richter der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts hat in seiner mündlichen Urteilsbegründung im We-sentlichen ausgeführt:

Eine Entziehung des Doktorgrades wegen nachträglicher Unwürdigkeit komme aus-schließlich aufgrund der Spezialregelung des § 35 Abs. 7 des Landeshochschulgesetzes in Betracht. Ein Widerruf des Doktorgrades nach allgemeinem Verwaltungsverfahrens-recht scheide hier aus, weil die Würdigkeit des Klägers weder nach dem Landeshoch-schulgesetz noch nach der Promotionsordnung der beklagten Universität Voraussetzung für die Annahme des Klägers als Doktorand oder die Eröffnung seines Promotionsver-fahrens gewesen sei. Auch wenn die Kammer die Verfassungsmäßigkeit der Spezialre-gelung des § 35 Abs. 7 Landeshochschulgesetz unterstelle, könne die Entziehung des Doktorgrades hier keinen Bestand haben. Die von der Universität Konstanz vorgenom-mene wissenschaftsbezogene Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit sei nicht zuläs-sig. Eine solche Auslegung hätte zur Folge, dass nachträgliches wissenschaftliches Fehlverhalten ohne jede strafrechtliche Relevanz den Begriff der Unwürdigkeit erfüllen würde und zum Anlass genommen werden könnte, einen rechtmäßig erworbenen Dok-torgrad nachträglich zu entziehen. Der Begriff der Unwürdigkeit sei aber aus vier Ge-sichtspunkten restriktiv im Sinne älterer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auszulegen, wonach Unwürdigkeit eine von der Allgemeinheit be-sonders missbilligte, ehrenrührige Straftat voraussetze, die ein die Durchschnittsstraftat übersteigendes Unwerturteil enthalte und zu einer tiefgreifenden Abwertung der Persön-lichkeit führe. Diese enge Auslegung folge erstens daraus, dass die Entziehung des Doktorgrades für den Titelinhaber einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, seine Wissenschaftsfreiheit und seine Berufsfreiheit darstelle. Die nachträgliche Entziehung des Doktorgrades könne auch nach einer gewis-sen Zeitdauer bei wiedererlangter Würdigkeit nicht aufgehoben werden. Zum Zweiten ergebe sich diese enge Auslegung auch aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung, nach der es sich bei der Entziehung des rechtmäßig erworbenen Doktorgrades nicht um eine Sanktion gegenüber dem Inhaber handeln dürfe, sondern sie nur zum Schutz ge-wichtiger öffentlicher Interessen erfolgen dürfe. Der wissenschaftliche Ruf der Universität komme hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Be-tracht. Daher könne das maßgebliche öffentliche Interesse nur im Schutz der Allgemein-heit, zu der auch die Wissenschaftsgemeinschaft gehöre, vor dem falschen Schein der Lauterkeit eines Titelführers liegen. Es bestehe Einigkeit, dass die Regelung des § 35 Abs. 7 Landeshochschulgesetz, die die Hochschule grundsätzlich ermächtige, jeden von ihr verliehenen Grad nachträglich zu entziehen, nur noch auf die Entziehung des Dok-torgrades angewendet werden könne. Denn nur dem Doktorgrad, wenn überhaupt, woh-ne noch ein Würdegehalt inne, der über den reinen, durch die fachbereichsspezifische Doktorprüfung erbrachten Leistungsnachweis hinausgehe. Dementsprechend könne die Würdigkeit nicht je nach Fachbereichszugehörigkeit oder auch nach dem später ausge-übten Beruf unterschiedlich bestimmt werden. Drittens komme hinzu, dass bei der wis-senschaftsbezogenen Auslegung des Unwürdigkeitsbegriffs die nachträgliche Entzie-hung des Doktorgrades nur solche Titelinhaber treffen könnte, die nach der Promotion weiterhin im Wissenschaftsbereich tätig seien. Die anderen, zahlenmäßig weit überwie-genden Titelinhaber blieben damit vom Anwendungsbereich der Norm verschont. Dies sei mit dem Gleichheitsatz nicht vereinbar und entspreche auch nicht dem erkennbaren Zweck der Bestimmung. Viertens schließlich trage die Auslegung der Beklagten auch den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Normenklarheit und Justiziabilität nicht hin-reichend Rechnung. Durch die Bezugnahme auf gravierendes wissenschaftliches Fehl-verhalten werde die Anwendung der Bestimmung mit erheblichen Unsicherheiten belas-tet. Es bleibe in erheblichem Maße unklar, wann solches Fehlverhalten vorliege. Aus der in das neue Landeshochschulgesetz aufgenommenen Bestimmung über wissenschaftli-che Redlichkeit, die sich an alle an den Universitäten wissenschaftlich Tätigen richte, ließen sich keine verlässliche Rückschlüsse für die Auslegung des Begriffs der Unwür-digkeit ziehen.

Selbst wenn man aber mit der beklagten Universität schweres und gravierendes wissen-schaftliches Fehlverhalten als Unwürdigkeitsgrund akzeptierte und außerdem annehme, der Kläger habe bei den streitigen Publikationen vorsätzlich und erheblich gegen die Anforderungen wissenschaftlicher Redlichkeit verstoßen, sei der nachträgliche Entzug des Doktorgrades hier unverhältnismäßig. Die Annahme der Beklagten, hier müsse die wissenschaftliche Gemeinschaft vor Irreführung über den Schein einer bestehenden Würdigkeit geschützt werden, rechtfertige den gravierenden Eingriff nicht. Der in der Öffentlichkeit als Wissenschaftsskandal behandelte Fall des Klägers sei mit Abschluss des Beasley-Reports in der gesamten Wissenschaftsgemeinschaft international kommu-niziert worden. Bereits dadurch sei die Wissenschaftsgemeinschaft, insbesondere im Bereich der Experimentalphysik, mit allen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen ver-traut gemacht worden. In der mündlichen Verhandlung sei von Seiten der beklagten Uni-versität deutlich gemacht worden, dass die Autoren der wissenschaftlichen Publikationen in der Physik in Fachzeitschriften neben ihrem Namen niemals den Doktortitel angeben und auch durch die Angabe des Doktortitels keine erhöhte Vermutung für die wissen-schaftliche Redlichkeit der publizierten Ergebnisse erzeugt werde. Die Kammer vermöge daher nicht zu erkennen, dass das Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades, das erst im Oktober 2009 mit dem Widerspruchsbescheid abgeschlossen worden sei, noch eine eigenständige Funktion hinsichtlich des Schutzes der Wissenschaftsgemeinschaft habe. Vielmehr stelle sich der Entzug des Doktorgrades hier als nachträgliche Sanktion des Klägers für sein vorgeworfenes Verhalten dar. Dies sei mit Sinn und Zweck der gesetzli-chen Ermächtigung nicht zu vereinbaren.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Kammer hat die Berufung zum VGH Baden-Württemberg zugelassen. Die Berufung kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegt werden. Die Zustellung des Urteils an die Beteiligten ist im Laufe des Monats Oktober zu erwarten.

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